Interview: "Keines unserer Spiele kommt perfekt raus"

    • Offizieller Beitrag

    In Stockholm trafen wir uns mit Thomas Johansson und Martin Anward von Paradox Interactive, um über die Firma im Allgmeinen, Stellaris im Besonderen und Strategie-KI im Speziellen zu sprechen.Paradox Interactive hat sich seit 1999 vom kleinen nordischen Studio zu einem wichtigen Spezial-Publisher für Strategie- und Rollenspiele gemausert – heute erwirtschaften etwa 200 Mitarbeiter rund 60 Millionen Euro Jahresunsatz. Wir haben mit Thomas Johansson, dem Chef der Entwicklungsabteilung PDS (Paradox Development Studio), und Martin Anward, dem Game Director von Stellaris und KI-Spezialist, gesprochen.



    Zu Stellaris


    GamersGlobal: Martin, war Stellaris fertig, als es herauskam?


    Martin Anward: Noch mal, ich würde gerne das Wort „fertig“ vermeiden. Aber ja, ich glaube, dass Stellaris zu Release ein gut ausgearbeitetes, hochqualitatives, spaßiges Spiel war. War alles daran so, wie ich es gerne gehabt hätte? Nein. Hätte ich gerne mehr Bugs beseitigt gehabt? Auf jeden Fall. Aber das wird immer passieren, man ist nie ganz zufrieden mit einem veröffentlichten Spiel. Und jetzt kann man darüber streiten, ob es einige Monate länger hätte entwickelt werden sollen, ob man dies noch hätte fixen oder jenes noch hätte einbauen müssen. Aber am Ende geht es um die Frage: Glauben wir, dass es bei Release sein Geld wert war? Und das glaube ich!


    Thomas Johansson: Und wenn ich mir die Bewertungen ansehe und die Verkaufszahlen, gehe ich davon aus, dass uns die Fans zustimmen.


    GamersGlobal: Vielleicht nicht jeder Fan, und vielleicht nicht jedes Magazin…


    Thomas Johansson: Aber die allgemeine Akzeptanz ist doch sehr hoch. Wenn ich mir verschiedene Kennzahlen ansehe, würde ich sagen, dass Stellaris einer unserer erfolgreichsten Releases war. Alles, über das wir reden, ist letztlich subjektiv, die einzige objektive Sache ist: Kaufen die Leute das Spiel? Und fahren sie fort, es zu spielen? Letzteres ist uns ebenfalls sehr wichtig, also die aktiven User. Wenn viele Leute unzählige Stunden in dein Spiel stecken, sagt das etwas aus.


    GamersGlobal: Naja, auch No Man’s Sky spielen manche Spieler immer noch endlose Stunden…


    Thomas Johansson: Aber wie viele davon gibt es wirklich noch?


    Martin Anward: Vielleicht noch ein paar Hundert pro Tag…


    Thomas Johansson: Mir sind andere Firmen letztlich egal, aber lass mich dies sagen: Wenn du mit großem Hype und Marketingbudget ein Spiel in den Markt drückst, dann bekommst du einen riesigen Ausschlag in der Verkaufskurve. Aber der äußert sich dann nicht in einer gleichbleibend hohen Zahl aktiver Spieler in der Zeit danach. Und jetzt schau dir unsere Spiele an, zum Beispiel Crusader Kings 2. Da gibt es keinen anfänglichen Ausschlag, und dann flacht die Kurve ab. Sondern es wird seit vier oder fünf Jahren kontinuierlich gespielt, und die Zahlen gehen eher nach oben!


    Martin Anward: Das Gleiche gilt für EU4: Es hat heute mehr Spieler als je zuvor.


    Thomas Johansson: Um auf deine Frage zurückzukommen:Die Stellaris-Zahlen, die ich sehe, sind keine „Das Spiel ist nicht fertig“-Zahlen. Aber klar, es gibt viele Dinge, die wir noch hinzufügen wollen.


    Martin Anward: Und die meisten Sachen, die wir schon zum Release hätten eingebaut haben wollen, haben wir mit dem großen Update 1.1 eingebaut.


    GamersGlobal: Eine Kritik, die ich zum anfänglichen Stellaris mehrfach gehört habe, ist, dass es keine KI habe, die einen wirklichen Gegner darstelle.


    Martin Anward: Unglücklicherweise wird so etwas immer gesagt. Die KI kann noch so gut sein, und du hast immer Leute, die das behaupten. Was sie damit meinen, kann alles Mögliche sein: ein echter Bug. Oder die KI tat nicht genau das, was sie wollten, dass sie tut. Hatten wir bei Stellaris KI-Bugs? Sicher. Konnte sie die eine oder andere Verbesserung vertragen? Sicher. Aber insgesamt halte ich die Stellaris-KI für eine der besten im Strategiegenre! Ich möchte jetzt keine Vergleiche zu anderen Spielen vornehmen, aber nein, ich denke nicht, dass die KI komplett kaputt war oder so etwas.


    GamersGlobal: Kritiker beschrieben sie als extrem passiv, vor allem ab dem Mid Game.


    Martin Anward: Wir hatten Probleme im Mid Game. Aber das war weniger ein KI- als vielmehr ein Design-Thema. Wir haben uns ganz stark auf den Erkundungsteil von Stellaris fokussiert, also auf das frühe Spiel. Du erkundest das All, und es gibt wahnsinnig viel zu entdecken. Und dann kommt die zweite Phase des Spiels, wenn die Karte gefüllt ist, und Stellaris quasi zu Europa Universalis wird. Da haben wir nicht genügend Zeit reingesteckt, und das ist vermutlich unser größter Fehler gewesen.


    GamersGlobal: Wie sieht es jetzt aus, nach mehreren Patches, nach dem Leviathans-Story-Addon?


    Martin Anward: Wir haben das Midgame deutlich verbessert, auch wenn wir weiter an diesem Teil dran sind. Es passiert nun mehr in der zweiten Phase. Aber das liegt nicht an der KI, die haben wir kaum verbessert. Sondern es passieren jetzt einfach mehr Dinge in der Galaxie. Stellaris ist ein anderes Spiel als Europa Universalis. Es sollte nie diese tiefe Diplomatie besitzen, diese Größe mit 200 Länden, mit Ozeanen und interessanter Geographie. Wir reden von vielleicht 15 Sternenreichen.


    GamersGlobal: Naja, aber die Sternenkarte in Stellaris erinnert zumindest in der Darstellung sehr an die Weltkarte aus EU4, mit den unterschiedlich groß geschrieben „Ländernamen“ und so weiter.


    Martin Anward: Aber berücksichtige, dass die Sternenkarte insgesamt vielleicht gerade mal Indien entspricht, was die Zahl der Länder anbelangt. Und es gibt keinen Ozean. Keine Europäer, die irgendwann kommen. Keine Renaissance, keine Reformation. Was wir jetzt getan haben für Stellaris: Wir haben praktisch diese Dinge neu erfunden. Also etwa das Erwachen gefallener Imperien. Die galaktischen Kriege. Wir wollen in Zukunft noch mehr Galaktische Ereignisse einbauen, sodass noch mehr Dinge passieren. Damit das Mid Game genauso spannend wird wie das Early Game.


    GamersGlobal: Schon als ich Stellaris das erste Mal präsentiert bekam, wunderte ich mich über das Feature, dass man nur maximal fünf Sektoren selbst kontrollieren kann. Wieso werden mir weitere Sektoren quasi weggenommen und unter KI-Verwaltung gestellt?
    Eure Fans lieben es doch, ihr Reich zu verwalten!


    Martin Anward: Widerspruch! Die Leute mögen die Idee, alles mikrozumanagen. Und wenn man sie lässt, machen sie das auch. Aber in der Praxis langweilt es die Meisten, 100 unterschiedliche Planeten zu verwalten. Und dann hören sie auf zu spielen. Das passiert in vielen 4X-Spielen. Unsere Lösung ist es, das gar nicht erst zuzulassen.


    GamersGlobal: Es gibt aber die Möglichkeit, die selbstverwalteten fünf Sektoren immer wieder neu zu bestimmen.


    Martin Anward: Ja, aber das kostet jedes Mal Influence. Es kostet also, zu mikromanagen. Es ist wirklich eine bewusste Entscheidung, dem Spieler diese Entscheidung wegzunehmen. Der Nachteil, wenn du die KI große Teile eines Spielerreiches verwalten lässt, ist natürlich, dass der Spieler besonders aufmerksam auf ihre Fehler achtet. Oder auf scheinbare Fehler, obwohl es rationale Entscheidungen sind.


    Thomas Johansson: Wir haben mit der Entscheidung die Schwierigkeit für uns erhöht: Die KI muss dir nicht nur eine Herausforderung bieten, sondern auch Entscheidungen treffen, die dir logisch erscheinen.


    Zur Zukunft von Stellaris


    GamersGlobal: Was können die Fans 2017 an größeren Dingen zu Stellaris erwarten?


    Martin Anward: Wir haben noch nichts angekündigt, aber wir planen nicht, mit den Addons aufzuhören.


    Thomas Johansson: Das Versprechen, das wir den Spielern quasi durch CK2 und EU4 gegeben haben, wollen wir auch in Stellaris einhalten. Die Fans dürfen sich auf neue Inhalte freuen.


    GamersGlobal: Aber worauf wird ungefähr der Fokus liegen?


    Martin Anward: Auf dem Mid Game, und auch auf der Personalisierung deines Imperiums, also den Rollenspiel-Aspekten.


    GamersGlobal: Da ihr Crusader Kings 2 mehrfach erwähnt habt: Es gibt dazu und zu Hearts of Iron jeweils eine Art „Choose your own Adventure“ im App Store, namens War Stories. Es ist ein fast nur textbasiertes Spiel im jeweiligen Szenario, bei dem man Entscheidungen trifft. Wie kam es denn dazu?


    Thomas Johansson: Es ist ein Experiment. Können wir neue Spieler ansprechen? Aber wir haben die beiden Apps nicht selbst programmiert. Und ich stecke auch nicht in den Details drin.


    GamersGlobal: Die neuen Spieler glauben nun, ihr seid eine Textadventure-Firma…


    Thomas Johansson: Immerhin haben sie mal von Paradox gehört, und wollen vielleicht auch andere Sachen von uns ausprobieren.


    GamersGlobal: Lasst uns zum Schluss noch mal zum Thema „unfertige Spiele“ zurückkommen. Es ist ja auch schwierig: Da gibt es Early Access, da gibt es Betas – und fertige Spiele, die eben doch nicht fertig sind. Dürfen die Spieler heutzutage einfach keine fertigen Spiele mehr erwarten?


    Thomas Johansson: Meiner Meinung nach ist die Qualität der Spiele besser geworden im Vergleich zu früher. Aber auch die Erwartungen sind höher als früher. Ich denke, bei unseren eigenen Spielen ist das Qualitätsniveau gestiegen. Die Entwickler wollen ihr Spiel rausbringen, die Spieler wollen es möglichst früh haben – es geht letztlich auch um Erwartungsmanagement. Was erwartet die Fans?


    Martin Anward: Aus meiner Sicht hat es sehr mit dem Genre zu tun. Wenn du ein Hüpfspiel mit zehn Levels machst, dann kann der Spieler erwarten, dass diese zehn Levels fix und fertig sind. Du spielst diesen Plattformer dann ein- oder zweimal, und das war’s. Aber Spiele wie EU4 oder Stellaris kann man jeden Tag für mehrere Stunden spielen, über Wochen und Monate hinweg. Wie kann so etwas „fertig“ sein? Natürlich können und werden wir das Spiel immer besser machen mit der Zeit. Solche Langzeit-Spiele ähneln eher MMOs, auch die sind niemals wirklich fertig.


    Thomas Johansson: Unsere Aufgabe ist es, das Vertrauen der Spieler zu gewinnen: Wenn du ein Paradox-Spiel kaufst, weißt du, dass wir es so lange unterstützen werden, wie du es spielen willst. Kein Spiel, das wir veröffentlichen, ist perfekt. Und wir wollen ja auch, dass die Spieler zurückkommen und die Updates installieren. Manchmal verbessern diese nur Bugs, aber manchmal bauen sie auch ein neues Feature ein.


    GamersGlobal: Dann ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass der Aufstieg von Paradox als Firma zeitlich mit dem Aufstieg von Steam als digitaler Vertriebsplattform zusammenfiel? Weil diese Art von Vertrieb perfekt dazu passt, wie ihr arbeitet?


    Thomas Johansson: Als ich 2004 angefangen habe, gab es keine digitale Distribution. Man hat ein Goldmaster ans Presswerk geschickt. Aber schon damals wollten wir nachträglich Sachen hinzufügen. Insofern gebe ich dir Recht, der Aufstieg der digitalen Distribution passt zu unserer Art, Spiele zu entwickeln, sie ständig weiterzuverbessern. Wir haben schon immer Spiele gemacht, die wir selber mögen. Wenn man aber etwas dauernd spielt, will man es auch immer weiter verbessern.


    GamersGlobal: Wie geht es mit Paradox Interactive als Firma weiter. Wollt ihr immer eine Strategiespiel-Firma bleiben? Ich bin vorhin durch die White-Wolf-Abteilung gelaufen, aber da hieß es: „Mach bloß die Augen zu!“ Geht’s auch mal in die Action-Ecke?


    Thomas Johansson: Nicht von Paradox als Entwickler, wir machen Strategiespiele. Als Publisher machen wir auch Rollenspiele, beispielsweise. Aber Paradox Interactive fokussiert sich überwiegend auf Strategie. Wir machen tiefgründige Spiele, in die man viele, viele Stunden versenken kann. Das Wichtigste für uns ist es, Game Directors zu haben, die für ein Konzept brennen, die es zum besten Spiel machen wollen, das es jemals gab. Wenn sie für Hearts of Iron 5 brennen, wird es sicher ein HoI5 geben. Und wenn ein Game Director für ein anderes Konzept brennt und uns überzeugt, dann gibt es dieses Konzept. Wir denken über viele Dinge nach…


    Quelle: http://www.gamersglobal.de/int…mmt-perfekt-raus?page=0,1

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    • Offizieller Beitrag

    Das Interview war wirklich interessant. Ich muss ja sagen dass ich Paradox zu Anfang etwas misstrauisch beäugt hatte weil sie so einen Berg an DLC's, wie zum Beispiel bei EU 4, auf den Markt werfen. Klar hat es auch deutlich wirtschaftliche Hintergründe, aber Spiele wie Stellaris oder eben EU 4 kann man nie vollständig auf den Markt bringen. Die bieten immer wieder Möglichkeiten das Spiel zu erweitern. Ich finde es auch einfach toll dass sie ihre Spiele pflegen statt aller Jahre ein neues Spiel auf den Markt zu werfen. Sie schauen auch genau darauf was bemängelt, sich gewünscht wird und gehen darauf ein. Letztlich muss man die DLC's ja auch nicht kaufen da jedes DLC von einem großen Patch begleitet wird welcher ebenfalls neue Inhalte liefert.

  • ein wirklich sehr intressantes interview :ms_thumbs_up: ich hab bisher keinen euro bereut den ich in paradox-spiele gesteckt habe :rolleyes:
    da kenne ich andere games die weitaus schlechter sind und auf den markt geschmissen wurden :dash:

  • Ein echt gutes Interview :ms_thumbs_up:


    Ich denke auch, das man den Preis für Spiele/Addons/DLCs immer in Verbindung mit den Spielstunden/Zeit sehen muss die man investiert.
    Stellaris ist jetzt seit fast 8 Monaten auf dem Markt und ich habe es von anfang an bis jetzt gezockt. Bei Steam stehen da zwar nur 225h, aber als Familienvater und Werktätiger sehe ich das als viel Zeit an.
    Da haben sich die rund 50€ bisher wirklich gelohnt.